Die ungebrochene Lust an der Vereinsarbeit
Es gibt heute in der Schweiz mehr als 55.000 Vereine, Klubs und Verbände, Tendenz steigend. Die Mitgliedschaft ist mit Kosten, Arbeit und Zeitaufwand verbunden. Dennoch verspüren viele einen starken inneren Antrieb, sich auch ehrenamtlich in einem Verein zu engagieren oder gar selbst einen Verein zu gründen. Was auch psychologisch dahinter steckt, soll in diesem Text beleuchtet werden.
Flucht aus dem Alltag
Das persönliche, familiäre Umfeld, das man sich selbst geschaffen hat und das sich mit den Jahren weiter entwickelt hat, kann sich durchaus von den Wunschvorstellungen ein Stück weit entfernen. Ein extremes Beispiel ist der Ehemann, der das "ständige Gelaber" seiner Angetrauten nicht mehr ertragen kann. Da trifft es sich immer gut, wenn man einen "wichtigen" Grund vorschieben kann, warum man auch heute wieder das Haus verlassen muss. Das Bedürfnis, seinem Alltag für ein paar Stunden zu entfliehen, hat viele Facetten. Auch das ältere Ehepaar, dessen Kinder längst erwachsen sind, um die man sich nicht mehr kümmern muss, sucht sich ein Betätigungsfeld, um nicht aus Langeweile in Zank und Streit zu verfallen.
Dort hört mir wenigstens jemand zu
Wer sonst im Beruf nicht viel zu sagen hat und zu Hause bei seiner Frau schon gar nicht, hat gute Chancen, an exponierter Stelle im Verein sein grosses Auditorium zu finden. Das gibt die Tagesordnung beim Vereinstreffen allemal her. Insbesondere der Vorsitzende bzw. sein Vertreter leitet und moderiert die Sitzung, die je nach Art und Anzahl der Tagesordnungspunkte wirklich lange dauern kann. Fragen, die zur Abstimmung anstehen, können auch schon mal im Sinne des Vortragenden manipuliert werden, etwas rhetorisches Geschick vorausgesetzt, das kann richtig Spass machen.
Lob und Anerkennung
Wer sich neben der reinen Mitgliedschaft aktiv in einem Verein engagiert, ggf. auch dem Vorstand angehört, hat alle Hände voll zu tun, z. B. auch mit der Organisation verschiedener Veranstaltungen wie halbjährliche Sitzungen, ausserordentliche Zusammentreffen, Führung der Vereinskasse, Ortstermine mit beauftragten Firmen, Weihnachtsfeier usw., d. h., der Vereinsmensch trägt Verantwortung bei der konkreten Umsetzung von Entscheidungen und erntet für seine Arbeit oftmals Lob und Anerkennung durch die anderen Mitglieder z. B. im Rahmen der Entlastung des Vorstandes. So kann die aktive Vereinsarbeit mit angenehmen Gefühlen, einer Aufwertung der Person und mit einer Steigerung des Selbstwertgefühls verbunden sein.
Fast wie die eigene Firma
Bei der Gründung einer Firma stellt sich immer gleich zu Anfang die Frage nach der Rechtsform. Es gibt durchaus treffende Argumente dafür, anstelle der Personengesellschaft, GmbH oder AG auch mal das Konstrukt "Eingetragener Verein" in Erwägung zu ziehen. Viele tun dies auch und entscheiden sich dann bewusst für eine Vereinsgründung. Mit anderen Worten, im Vereinsgeschäft gibt es einige Abläufe, die auch in einer Firma kaum anders sind. Auch Vereine dürfen Einnahmen haben, Gewinne verbuchen, Steuern zahlen und Steuern sparen. Der Vorstand bestimmt dann in gewissem Rahmen selbst über seine Gehälter im Sinne von Angestellten. Wer gern selbstständig arbeiten möchte, sich aber allein eine Firmengründung nicht aufbürden möchte, kann "im Verein" mit Gleichgesinnten einen Verein gründen, der als juristische Person die Geschäftsführung verantwortet. Es ist übrigens nicht so, dass die Vorstandsvorsitzenden mit ihrem Hab und Gut persönlich haften, sollte der Verein in eine finanzielle Schieflage geraten und in die Insolvenz schliddern. Dieser "erhobene Zeigefinger" taucht immer wieder auf, wenn es um die Vereinsdiskussion geht. Dahinter verbirgt sich eine schlichte Verwechslung mit dem "Nicht Eingetragenen Verein", den es ja auch gibt, und der in vielen Aspekten rechtlich dem "e.V." quasi gleichgestellt ist. Allein, wenn der Vorstand z. B. einen Transporter für seinen "unverbindlichen" Verein kauft, dann wird sich das Autohaus immer an die Person des Käufers halten, wenn Raten nicht bezahlt werden, da jener ominöse Verein als juristische Person nicht existiert.
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